Die atmosphärische Trockenheit – eine unterschätzte Grösse im Klimawandel

In der Dis­kus­sion um die Aus­wir­kun­gen des Kli­ma­wan­dels liegt der Fokus heut­zu­tage auf der sich erhö­hen­den Tem­pe­ra­tur und auf Ände­run­gen im Nie­der­schlag. Für den Was­ser­haus­halt von Pflan­zen und einer Region ist aber eine wei­tere Grösse von zen­tra­ler Rolle, wel­cher sich viele nicht bewusst sind: Das Sät­ti­gungs­de­fi­zit der Luft an Was­ser­dampf (kurz VPD, Vapour-pres­sure defi­cit), wel­che die Trocken­heit der Atmo­sphäre beschreibt. Trocke­ner Boden erschwert oder ver­un­mög­licht die Was­ser­auf­nahme von Pflan­zen, atmo­sphä­ri­sche Trocken­heit ent­zieht der Vege­ta­tion und dem Boden Was­ser und trock­net diese somit wei­ter aus.

Ein häu­fi­ger Anblick im 2020: Die Blät­ter von Bäu­men ver­trock­ne­ten auf­grund von Hitze und Trockenheit

Luft kann nur eine gewisse Menge an Was­ser­dampf auf­neh­men – je näher der Was­ser­ge­halt der Luft an die­sem Grenz­wert ist, desto lang­sa­mer ver­dun­stet Was­ser aus dem Boden oder wird lang­sa­mer von Pflan­zen tran­spi­riert und wenn die­ser Grenz­wert erreicht wird, ver­dun­stet gar kein wei­te­res Was­ser. Wie viel Was­ser­dampf von der Luft auf­ge­nom­men wer­den kann, hängt dabei von ihrer Tem­pe­ra­tur ab und steigt expo­nen­ti­ell mit stei­gen­der Tem­pe­ra­tur an (Gra­fik 1, kann online z.B. hier berech­net werden).

Gra­fik 1: Maxi­ma­ler Was­ser­ge­halt in Gramm (= in Mil­li­li­ter) eines Kubik­me­ter Luft in Abhän­gig­keit der Temperatur. 

Steigt also die Luft­tem­pe­ra­tur an, kann diese wesent­lich mehr Was­ser auf­neh­men. Zwar ver­dun­stet bei einer höhe­ren Tem­pe­ra­tur auch mehr Was­ser, jedoch ist z.B. an Land die Menge an Was­ser begrenzt. Dadurch weist der Was­ser­ge­halt der Luft ten­den­zi­ell ein höhe­res Defi­zit auf, je höher die Tem­pe­ra­tur ansteigt. Die­ses Defi­zit ist die Dif­fe­renz zwi­schen des poten­ti­ell maxi­ma­len Was­ser­ge­halts der Luft und ihres tat­säch­li­chen Was­ser­ge­halts (Gra­fik 2 a und b) – in der Fach­spra­che spricht man vom Sät­ti­gungs­de­fi­zit der Luft, auf eng­lisch Vapour-pres­sure defi­cit oder kurz VPD (in kPa). Die­ser VPD kann als eine «Kraft» ver­stan­den wer­den, wel­che die Ver­dun­stung von Was­ser aus dem Boden und Gewäs­sern oder die Tran­spi­ra­tion (das «Schwit­zen) bei Pflan­zen vor­an­treibt. Als Faust­re­gel gilt, dass ein VPD von 1 kPa für Pflan­zen opti­mal ist – sie ver­dun­sten nicht zu viel Was­ser, aber genug, damit sie aus­rei­chend Nähr­stoffe zu den Blät­tern trans­por­tie­ren können.

Gra­fik 2 a und b: Dar­stel­lung des VPD bei sich erhö­hen­der Tem­pe­ra­tur aber gleich­blei­ben­der Luft­feuchte. Obere Linie: Maxi­ma­ler Was­ser­dampf­druck bei einer gege­be­nen Tem­pe­ra­tur, untere Linie der Was­ser­dampf­druck bei 20% Luft­feuchte bei einer bestimm­ten Tem­pe­ra­tur. Die Dif­fe­renz ist die Grösse des VPD – je grös­ser, desto stär­ker wird der Vege­ta­tion und dem Boden Feuch­tig­keit ent­zo­gen. Quelle: Gross­iord et al. 2020.

Gewisse Regio­nen haben auf­grund ihres Kli­mas auf natür­li­che Weise ganz unter­schied­li­che Vor­aus­set­zun­gen, wie gross der VPD sein kann. Wenn man sich die Gra­fi­ken 3 und 4 ansieht erkennt man, dass der VPD bei einer Tem­pe­ra­tur von 20 °C nur wenig höher als 2 kPa stei­gen kann und dass bei einer hohen rela­ti­ven Luft­feuch­tig­keit die Tem­pe­ra­tur sehr hoch wer­den muss, damit ein hoher VPD erreicht wird. Man kann sich also gut vor­stel­len, dass in rela­tiv küh­len und feuch­ten Regio­nen wie den Alpen, der fran­zö­si­schen Atlan­tik­kü­ste oder in Gross­bri­ta­nien die Luft nie sehr trocken wer­den kann. Die dort vor­kom­mende Vege­ta­tion ist an diese Bedin­gun­gen ange­passt, sie haben also mei­stens kei­nen spe­zi­el­len Schutz vor ver­stärk­ter Ver­dun­stung durch eine trockene Atmosphäre. 

Gra­fik 3: Ver­lauf des VPD bei einer kon­stan­ten Tem­pe­ra­tur und sich ändern­der rela­ti­ven Luftfeuchte
Gra­fik 4: Ver­lauf des VPD bei einer kon­stan­ten Luft­feuchte und sich ändern­der Temperatur

Steigt nun durch den Kli­ma­wan­del die Tem­pe­ra­tur stark an oder ver­rin­gert sich die rela­tive Luft­feuch­tig­keit durch gerin­gere Nie­der­schläge, wird die Luft auch viel trocke­ner und Pflan­zen ver­dun­sten mehr Was­ser (Gra­fik 5). Dadurch wird einer­seits dem Boden Was­ser ent­zo­gen, ande­rer­seits kön­nen Pflan­zen auch direk­ten Scha­den neh­men, wenn sie mehr ver­dun­sten, als das sie wie­der auf­neh­men kön­nen. Als Resul­tat fül­len sich ihre Leit­bah­nen, mit denen sie Was­ser und Nähr­stoffe zu den Blät­tern trans­por­tie­ren, mit Luft, wodurch die­ser Trans­port unter­bro­chen wird und die Pflan­zen begin­nen zu wel­ken. Dadurch kön­nen Pflan­zen abster­ben, obwohl der Boden eigent­lich noch genü­gend Was­ser ent­hal­ten würde.

Gra­fik 5 A bis D: Ände­rung des Sät­ti­gungs­de­fi­zits zwi­schen Blatt­in­ne­ren (100% rela­tive Luft­feuchte (RH)) und Luft bei einer Ver­rin­ge­rung der rela­ti­ven Luft­feuchte (A vs. B und C vs. D) und bei stei­gen­der Tem­pe­ra­tur (A vs. C und B vs. D).

Die atmo­sphä­ri­sche Trocken­heit gibt uns also wei­tere Infor­ma­tio­nen dar­über, wie stark Pflan­zen an Trocken­heit lei­den und ob gewisse Pflan­zen­ar­ten in einer Region in Zukunft noch über­le­ben kön­nen. Wie bei allen kli­ma­ti­schen Para­me­tern spielt hier­bei nicht die Mit­tel­werte son­dern die Extrem­werte eine ent­schei­dende Rolle. Ist z.B. die Was­ser­ver­sor­gung im Som­mer im Durch­schnitt zwar gege­ben, ver­trock­nen viele bei uns vor­kom­men­den Pflan­zen­ar­ten trotz­dem, wenn der Was­ser­ge­halt des Bodens auch nur für ein paar Tage unter einen gewis­sen Schwel­len­wert sinkt oder die Luft für eine län­gere Zeit im Som­mer den Pflan­zen zu viel Was­ser ent­zieht (Bild 1).

Bild 1: Grund­lage des Ver­trock­nen von Pflan­zen. Die Pflanze ver­dun­stet mehr Was­ser, als das sie aus dem Boden auf­neh­men kann. Dadurch ent­ste­hen in ihren Leit­bah­nen Gas­bla­sen, wel­che bei anhal­ten­der Trocken­heit mehr und mehr Leit­bah­nen fül­len kann, wodurch der Was­ser­trans­port immer mehr abnimmt. Ab einem gewis­sen Schwel­len­wert (Art­ab­hän­gig) ster­ben die Pflan­zen ab.

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